A Century of Life

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Bernhard Wolf

Bernhard Wolf kennt Lech am Arlberg wie kein zweiter. Schließlich feiert er am 4. September 2014 seinen 100. Geburtstag und ist damit der älteste Einwohner in der Gemeinde! Mit bewundernswerter Klarsicht teilt der rüstige Senior seine Erinnerungen an längst vergangene Zeiten. Und auch zur Gegenwart und Zukunft von Lech macht er sich mit La Loupe gerne Gedanken!

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Bernhard Wolf

L.L.

B.W.

L.L.

L.L.

Herr Wolf, wie haben Sie Ihre Kindheit in Lech erlebt?

B.W.

B.W.

Das ist inzwischen fast 100 Jahre her! Damals bestand Lech nur aus Einheimischen. Da gab es den Pfarrer, den Lehrer und den Gendarmen, die anderen waren Kleinbauern, so auch meine Familie. Im Winter waren wir regelmäßig von Schnee und Lawinengefahr eingeschlossen, somit war wichtig, dass Mehl zum Brotbacken vorhanden war, und wir mussten uns mit reichlich Kartoffeln, Randig (Rohnen), Maisgries, gelben Rüben und Kraut in Fässern eindecken. Daran erinnere ich mich gut: Im Gegensatz zu heute musste man immer vorsorgen, dass genug da war.

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L.L.

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L.L.

Und welchen Beruf haben Sie dann gelernt?

B.W.

B.W.

Wir sind damals ja nicht rausgekommen aus Lech, und in den Bergdörfern gab es keine Berufe. Man ist mit der bäuerlichen Familie groß geworden und hat immer mitgeholfen, etwas anderes gab es nicht. Wir waren neun Geschwister, vier Buben und fünf Mädchen. Die zwei älteren Brüder sind im Dorf als Tagelöhner arbeiten gegangen, aber ich musste neben der Schule daheim dem Vater helfen. Um 6 Uhr früh ging's in den Stall, danach gab es Riebel und Kaffee als Frühstück, dann die Schule. So hat man sich an das anstrengende Leben gewöhnt. Von 1933 bis 1934 habe ich die zweijährige Handelsschule in Feldkirch besucht und im Internat der christlichen Brüder gewohnt.

L.L.

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B.W.

Der Weg nach Feldkirch war mühselig: Von Lech sind wir bis Langen gelaufen, das hat so 3 Stunden gedauert, bei Wind und Wetter auch mal 5 Stunden. Dann ging es mit dem Zug nach Feldkirch. Diesen Weg hat man sich aus zeitlichen und finanziellen Gründen nur zu Weihnachten und Ostern angetan.

In jener Zeit habe ich auch eine Tante besucht, die Gartenschwester im Frauenorden vom heiligen Kreuz war. Von ihr habe ich Äpfel und meine erste Erdbeere bekommen – das blieb unvergesslich, denn bis heute mag ich Erdbeeren sehr! Wieder zuhause habe ich dann bei der Post gearbeitet, bis ich im November 1938 zum Militärdienst einberufen wurde und als Gebirgsjäger vom bayerischen Oberammergau bis in die Nähe von Sotschi kam. Später habe ich natürlich auch als Skilehrer gearbeitet, von 1951 bis 1994.

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L.L.

L.L.

B.W.

Sie haben die Entwicklung von Lech vom Bergbauerndorf zur Tourismus-Hochburg miterlebt. Sind Sie heute stolz auf Ihre Heimat?

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B.W.

L.L.

B.W.

Stolz möchte ich nicht sagen, aber man hat doch am Aufschwung mitgearbeitet. Es ist schön, dass Lech ein weltbekannter Ort geworden ist. Auf der anderen Seite sehe ich die Zukunft nicht nur rosig, denn wir haben den Höhepunkt erreicht oder vielleicht schon überschritten.

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L.L.

Was waren die größten Veränderungen in Lech Zürs?

L.L.

B.W.

B.W.

Veränderungen hängen ja meist mit der Wirtschaft zusammen. Wenn diese blüht, ändert sich vieles zum Positiven. Ich erinnere mich aber zum Beispiel auch an die Tausend-Mark-Sperre Anfang der 1930er-Jahre. Immer wieder gab es solche Perioden, in denen der Aufschwung ausgesetzt hat und wir der Weltwirtschaft unterlagen.

“Fortunately we’ve realized that we have to conserve the nature in Lech as our habitat.”

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L.L.

L.L.

B.W.

Und was hat Sie an der Entwicklung des Ortes am meisten überrascht?

“Up in the mountains you’re a little lighter, your head becomes clearer and your heart opens.”

B.W.

L.L.

Eigentlich nichts, weil Lech ja natürlich gewachsen ist. Vor Kurzem sah ich zufällig im Fernsehen Bilder der französischen Winterhochburgen, die schnell gewachsen und ebenso schnell verfallen sind, und kurz darauf Bilder von Lech, durch die der positive Unterschied sichtbar wurde. So etwas macht dann schon stolz. Unsere Pioniere haben sich damals in der schon weiter entwickelten Schweiz umgesehen und festgestellt, dass solche „Bettenburgen“ nicht in die Alpen passen. Also sind sie zurückgekommen und haben es anders gemacht. Wir haben zum Glück erkannt, dass wir die Natur in Lech als unseren Lebensraum erhalten müssen, sonst machen wir uns selber kaputt. Viele Gäste wollen nicht in einer Stadt ihren Urlaub verbringen, sondern in einem kleinen Ort, wo sie sich heimisch fühlen, und wo die Ruhe der Natur einen Kontrast zum Alltag bildet. Mancher Stammgast ist schon wie ein Teil der Familie.

B.W.

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L.L.

L.L.

Viele alte Fotos zeigen elegante Damen und stattliche Herren. War Lech früher mondäner?

B.W.

B.W.

Nein, wir waren ein armes Volk! Aber da es damals kaum Fotos gab, hat man das beste Kleid oder sogar die Tracht angezogen, wenn doch einmal fotografiert wurde. Deshalb sah man eben großartig aus. In den 1930er-Jahren gab es Moden wie die Knickerbockerhose, in den 1950ern die Keilhose mit Popelin-Anorak. Die Gäste waren immer mit sehr guter Qualität ausgestattet.

L.L.

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B.W.

L.L.

L.L.

„Früher war alles besser“ hört man heutzutage oft. Was würden Sie sagen?

B.W.

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B.W.

In manchen Bereichen schon. Die Dorfgemeinschaft hat stärker zusammengehalten. Wenn früher in der Gemeinde ein Bauer in Not geraten ist, hat man gefrohnt, also unentgeltliche Arbeit geleistet. Jeder hat den anderen gebraucht, darum hat das funktioniert, denn man lebte eigentlich als eine große Familie zusammen. In Freud und Leid stand man sich bei, man wusste ja immer alles – die Gemeinde war kleiner, man hatte viele Kinder, die gemeinsam in die Schule gingen und spielten. Somit war man im alltäglichen Leben eng miteinander verbunden. Früher war man auch zufriedener. Heute ist jeder groß und braucht den anderen nicht mehr – das brachten die finanzielle Unabhängigkeit und der technische Fortschritt mit sich. Mäh- oder Waschmaschinen erleichtern die Arbeit zum Beispiel um ein Vielfaches. Doch beim Hochwasser im August 2005 haben sich die alten Werte wieder in den Vordergrund gestellt – die Wurzeln. Alle haben geholfen und die Dorfgemeinschaft hat so wie früher fest zusammengehalten.

„Wir haben zum Glück erkannt, dass wir die Natur in Lech als unseren Lebensraum erhalten müssen.“

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L.L.

Verraten Sie uns das Geheimnis: Wie wird man 100 Jahre alt?

B.W.

Es gibt keines! Ich setze auf ein „natürliches Leben“, beim Essen und Trinken habe ich mein persönliches Maß gefunden. Alkohol ist bestimmt nicht schlecht, aber alles muss eben in Maßen genossen werden. Dann verkraftet es der Körper auch. Wir haben früher ja bedingt durch die Umstände gesund gelebt, weil wir wenig hatten. Heute fällt mir auf, dass schon viele Kinder falsch ernährt sind. Die süßen Getränke und viele Süßigkeiten zum Beispiel haben schlimme Folgen und führen zu Übergewicht. Wir hatten damals kaum Zucker und auf dem alten Brot hat man etwas länger rumgekaut. Da war man auch schneller satt und bekam starke Zähne.

„Oben in den Bergen ist man ein bisschen leichter, der Kopf wird freier und das Herz wird weit.“

L.L.

Liegt Ihr hohes Alter auch an der schönen Natur, der guten Luft, der positiven Energie der Berge?

B.W.

Jaja, sicher auch. Ich lebe mit und von der Natur, genieße die Freiheit und akzeptiere ihre Grenzen. Wenn ich wandern gehe, spüre ich die Energie und Kraft, denn ich gehe bei Wind und Wetter! Dort oben in den Bergen ist man ein bisschen leichter, der Kopf wird freier und das Herz wird weit. Für das Wohl der Seele setze ich mich gern auf eine Bank und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen, da tankt mein Körper Kraft – das machen die Tiere genauso. Da sieht man, dass Mensch und Tier sich sehr ähnlich sind.

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L.L.

Können Sie sich erinnern, ob es in Ihrer Kindheit andere hundertjährige Lecher gab?

B.W.

In meiner Kindheit nicht, nein! Erst in den späten 1990er- Jahren war der Altbürgermeister Gebhard Jochum zum Beispiel 101, auch die Frau Maria Schneider vom Hotel Schneider wurde knapp über 100.

L.L.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Heimat?

B.W.

Wir sind jetzt oben und hoffen, dass es so bleibt, und dass auch die Dorfgemeinschaft weiterhin aufrecht bleibt. Denn man macht sich ja auch Gedanken: Was ist, wenn der Tourismus wieder zurückgeht? Was mache ich dann mit einem Hotel mit 50 oder 80 Betten? Ich meine, die Leute sollten wieder effektiver Urlaub machen und sich wirklich Zeit nehmen zum Genießen. Viele machen nur Kurzurlaube oder verbringen die Wochenenden hier und wollen alles „schnell, schnell“ nutzen und konsumieren. Die heutige schnelllebige Zeit birgt außerdem die Gefahr, dass man oberflächlicher wird und Wertschätzung oder Respekt hintanstellt. Die Natur bzw. die Berge dienen nur als „Nutz- und Gebrauchsgegenstand“. Früher kamen die Gäste mit dem Nachtzug aus Köln und sind 2 bis 3 Wochen geblieben, haben hier alles eingekauft oder anfertigen lassen, den Tag genutzt, um es sich gutgehen zu lassen. Das war der Urlaub und da hat man sich etwas gegönnt.

L.L.

Und gibt es etwas, das Sie selbst noch unbedingt erleben möchten?

B.W.

Nein, ich bin zufrieden mit allem. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre das, noch einige Jahre gesund zu bleiben und keine Schmerzen zu haben.

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